Die erste zweisprachige Siegerehrung, der wohl beeindruckendste Durchmarsch eines Spielers bei diesem Turnier, gleichzeitig das wohl enttäuschendste Damenfinale überhaupt – die 29. DTH-Open waren ein Turnier der Superlative, Extreme und Gegensätze.
Spitzentennis, Spannung und Dramatik waren angekündigt, all das gab es auch. Plus Dominanz (bei den Herren) und Tragik (bei den Damen). Doch dazu später mehr. Auch der äußere Rahmen war rekordverdächtig, was sowohl die Zahl der Zuschauer an den drei Turniertagen und bei den Endspielen – hier wurden über 300 Tennisfans gezählt –, die Menge der nervenden Wespen (siehe Open-Geflüster) überall auf der Anlage oder auch die Zahl der Sonnenstunden anging.
Während des Turniers strahlte dann die Son- ne, und zumindest am Finaltag war es schon fast wieder zu heiß, so dass sich die zahlreichen Zuschauer unter den knappen Schattenplätzen dicht an dicht drängten. Geboten wurde am Finaltag einiges, denn die Turnier- leitung hatte sich zu dem guten und begrüßenswerten Schritt entschieden, die Finals der Nebenrunde erstmals vor den Endspie- len der Hauptrunde auszutragen. Dass auch das Finale einer vermeintlichen „Nebenrunde“ tolles Tennis bieten kann, wurde dabei mehr als deutlich. Und sogar Lokalkolorit gab es zu sehen, denn Lars Hartmann aus der gerade frisch aufgestiegenen Herrenmannschaft des DTH – er hatte im Halbfinale das Vereinsduell gegen seinen Mannschaftskameraden Marcel Baenisch für sich entscheiden können – stand dort im Herrenfinale. Allerdings hatte er gegen den sehr stark aufspielenden Nils Schlünzen (TC Alfeld) keine Chance.
Bei den Damen machte sich Alice Violet (Club an der Alster Hamburg, sie feierte an diesem Tag gerade ihren 20. Geburtstag) ein besonderes Geschenk: In einem spannenden und hochklassigen Finale siegte sie gegen die gerade erst 13jährige Angelina Wirges (TC Arnum). Wirges, die im Leistungszentrum Hannover trainiert, dürfte noch eine große Zukunft vor sich haben, denn trotz ihrer (noch) körperlichen Unterlegenheit konnte sie spielerisch bereits mit ihren meist viel älteren Konkurrentinnen mithalten. „Mein Ziel ist es, Tennisprofi zu werden“, meinte die Linkshänderin dann auch bei der Siegerehrung, die – auch dies ein Novum – erstmals vor den Finalspielen der Hauptrunde auf den Showplätzen durchgeführt wurde.
Aufgabe im Damenfinale
Das Endspiel der Damen- Hauptrunde entpuppte sich anschließend allerdings als eine Enttäuschung. Die topgesetzte Vinja Lehmann (Braunschweiger THC) verließ beim Stand von 1:5 im ersten Satz wortlos und mit Tränen in den Augen den Platz. Das bedeutete: Aufgabe – und Rätselraten bei Fans und Gegnerin. Nach der Siegerehrung erklärte die sichtlich enttäuschte 18jährige Nachwuchshoffnung, warum sie aufgeben musste: „Ich bin stark erkältet und habe mich schon am Samstag im Viertel- und Halbfinale gequält“. Nun am heißen Finaltag ging sichtlich nichts mehr. Dies war sehr bedauerlich, denn Lehmann hatte das Turnier vorher in ihrer Hälfte ziemlich deutlich dominiert. Ihre Finalgegnerin Romy Kölzer, die nun durch diesen Abbruchsieg zur Titelträgerin wurde, hatte es bedeutend schwerer, ins Endspiel zu kommen: Die Rechtshänderin vom RTHC Bayer Leverkusen gewann im Achtel-, Viertel- und Halbfinale erst im Matchtiebreak und bewies dabei eine unglaubliche Nervenstärke. Zu den „Opfern“ Romy Kölzers gehörte unter anderem die Rekordsiegerin des Turniers und Dauerfinalistin der letzten Jahre, Manon Kruse, die im Viertelfinale ausschied und damit erstmals seit fünf Jahren nicht das Finale erreichte.
Romy Kölzer geht trotz des Abbruchsieges dennoch als verdiente Siegerin in die Annalen unseres Turniers ein, denn im Finale zeigte sie bis zum Abbruch brillantes Tennis. Und in den Matches zuvor sorgte die Rechtshänderin mit dem Hammer-Aufschlag gegen durchweg starke Gegnerinnen immer wieder für Begeisterung und Spannung unter den Zuschauern.
Erweiterte Weltklasse im Herrenfinale
Auch in der Herrenkonkurrenz zeichnete sich ein Spieler durch große Nervenstärke und mutiges Spiel in entscheidenden Situationen aus: Sebastian Linda (Bielefelder TTC), der zuvor im Viertel- und Halbfinale zwei ehemalige Sieger und Publikumslieblinge ebenfalls im Matchtiebreak eliminiert hatte. Im Viertelfinale unterlag der sonst so nervenstarke Rekordsieger Christopher Koderisch seinem langjährigen Kontrahenten – wieder mal auf Platz 9. „Das ist jetzt das dritte Mal, dass ich ein Viertelfinale auf diesem Platz spielen musste, und zum dritten Mal habe ich im Matchtiebreak verloren“, ärgerte sich Koderisch anschließend. „Bitte gebt mir in Zukunft zumindest im Vierteilfinale einen anderen Platz!“ Im Halbfinale schaltete Linda den 2,06-Meter-Riesen Florian Lemke (Sieger und Sänger 2005) aus – zur Enttäuschung vieler Zuschauer, die gern Lemke ein weiteres Mal bei der Siegerehrung hätten singen hören wollen (das hatte er im Vorfeld angekündigt).
Aber der Finaleinzug war verdient, denn der kampfstarke und taktisch klug spielende Sebastian Linda erklärte im Anschluss, warum er beide Matches für sich entschieden hatte: „Im Matchtiebreak musst Du Gas geben und Dich nicht nur auf die Fehler deines Gegners verlassen. Das habe ich gemacht, mehr riskiert und gewonnen“. Eine sehr treffende Analyse, denn Lemke und Koderisch waren im entscheidenden Moment zu zögerlich und passiv. Generell erlebten die Zuschauer mit dem bereits 32jährigen Linda bei seinem erst zweiten Start bei diesem Turnier ein interessantes neues Gesicht im Finale: In seiner Jugend gehörte Linda zur Weltspitze, stand in der Junioren-Weltrangliste auf Platz 12 und war seinerzeit besser als heutige Stars wie Philipp Kohlschreiber. Eine chronische Nasennebenhöhleninfektion verhinderte dann den großen Durchbruch, Linda ging in Matches unter heißen oder schwülen Bedingungen im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. Also studierte er und betätigte sich anschließend in verschiedenen Berufsfeldern. Heute ist er als Tennistrainer und Projektentwickler tätig und macht gerade seinen Flugschein, mit dem er als Pilot vom Kleinflugzeug bis zur Boeing alle Flugzeuge durch die Lüfte steuern kann.
Trotz seines nicht unbedingt zu erwartenden (Setzliste Nr. 7) Finaleinzugs stand Sebastian Linda aber dennoch im Schatten des Dominators dieser DTH-Open, des 25jährigen bulgarischen Daviscupspielers Alexander Lazov. Mit ihm war erstmals ein aktiver Davis-Cup-Profi und Spieler aus der erweiterten Weltklasse im Hauptfeld der DTH-Open. Lazov steht natürlich klar im Schatten des Weltklassenmanns Grigor Dimitrov (Top 20-Spieler auf der ATP-Tour), war aber in diesem Jahr im Davis-Cup an der Seite von Dimitrov („ich kenne ihn seit gemeinsamen Jugendzeiten, er ist für mich kein Star, sondern ein ganz normaler Mensch“) im Davis-Cup im Einsatz. Außerdem ist Lazov amtierender Landesmeister und konnte bereits 10 Turniere im Einzel und Doppel auf internationaler Ebene gewinnen und bei weiteren 18 das Finale erreichen.
Lazov neuer Tenniskönig der DTH-Open
Lazov war damit fast „eine Nummer zu groß“ für die DTH-Open, die er nach Belieben dominierte. Die ersten beiden Matches verbuchte der Bulgare „zu null“ (6:0, 6:0), darunter auch die Auftaktbegegnung gegen DTH-Talent Marian Hartung, der sogar ein 40:0 im ersten Spiel hatte und damit fast zumindest ein Spiel gegen den übermächtigen Gegner gewonnen hatte. Aber wann immer Lazov Gefahr lief, in Bedrängnis zu geraten, legte er einfach „eine Schippe drauf“ und spielte noch schneller oder raffinierter. Das kennzeichnete sein Spiel während des gesamten Turniers – als Zuschauer hatte man immer das Gefühl, dass Lazov, wenn er wollte, noch besser agieren könne. In den ersten Runden wirkte sein Spiel fast noch bedächtig – im Finale ließ er es dann richtig krachen. Aber nicht nur das: Mit feinem Händchen produzierte der Linkshänder auch filigranste Stoppbälle, Lobs und Volleys, wenn er dazu Lust hatte oder die Spielsituation es erforderte. Und auch aus schier aussichtslosen Situationen gelangen dem Bulgaren dank seiner enorm flinken Beine noch präzise und tödliche Passierschläge.
Man kann nicht sagen, dass Sebastian Linda im Finale nicht alles versucht hatte – Lazov hatte einfach auf jede taktische Idee seines Gegners eine bessere Antwort. Wenn man davon reden konnte, dass es für den neuen Tenniskönig dieses Turniers (so betitelte die DWZ ihren Nachbericht) einmal im Turnier ein wenig eng wurde, dann war dies im Halbfinale gegen Jannik Rother – der junge Mann aus Halle griff beherzt an und konnte zumindest seinem Gegner phasenweise Paroli bieten.
Auch in diesem Jahr trafen die Aktiven auf eine Anlage, die bestens präpariert war. Dazu gebührt unserem Platzwart Karlheinz Drews nebst seinen Helfern besonderer Dank. Selbiges gilt für die Damen am Kuchenbuffet (hauptsächlich Ramona Sohns und Elke Legler), Rainer Baltrusch sowie Familie Wunderlich am Grill, dem fast rund um die Uhr überall helfenden und zupackenden Uli Talman, Marion Baltrusch als Physiotherapeutin, Ute Klapproth als Fotografin, Clubwirtin Rosi sowie für die vielen weiteren Helferinnen und Helfer, die überall das Turnier unterstützen. Auch wenn sie mitunter gar nicht da sind, denn die tollen selbstgebackenen Kuchen und die abwechslungsreich und liebevoll zusammengestellten Salate sorgten überall für Gaumenfreuden. Hinzu kamen die Helfer beim Fahrdienst, beim Auf- und Abbau und zuvor beim Herrichten der Anlage – es wurde eine große Runde, denen Vereinsvorsitzender Roman von Alvensleben und sein Stellvertreter Dieter Rathgeber nach der letzten Siegerehrung dankten und die sich dazu auf Platz 3 versammelt hatten. Die Ballkinder (Marie, Patrick, Duy, Jan, Alex, Lorcan, Julia, Jana, Paul, Jonas, Felix, Fiene und Tamo, ausgebildet von Ernst Wahle) waren ebenso dabei wie die wieder sehr souveränen Stuhlschiedsrichter vom NTV, Jens Langkopf und Jörg Ziemke. Hinzu kamen Oberschiedsrichterin Sybille Schillig (Christiane Meyer war dieses Jahr nur begleitend dabei), die Turnierleiter Axel Rojczyk und Markus Rosensky sowie die Direktoren André Malke und Jens Biel. Das alles wiederum moderiert vom Turniersprecher Cord Wilhelm Kiel, der als Englischlehrer diesmal richtig in seinem Element war und bei der Siegerehrung die Statements von und für Alexander Lazov übersetzen musste – und der hofft, niemanden in dieser Aufzählung übersehen zu haben. Das Turnier und die sehr positive Berichterstattung – in einem Kommentar sprach DWZ-Sportchef Roland Giehr dem DTH ein „Kompliment“ aus und schloss mit „Spiel, Satz und Sieg DTH“ – zeigen, dass im Weserbergland die Akzeptanz des DTH-Open sehr groß ist. Die Qualität und ständige Verbesserung dieses Turniers hat auch eine positive und langjährige Bindung mit vielen Sponsoren hervorgebracht. Und die Tatsache, dass ein so starker Akteur wie Alexander Lazov in diesem Jahr auf unserer Anlage aufschlug, zeigt, dass das Turnier inzwischen deutschlandweit einen guten Namen hat.
Die Zukunft
Im nächsten Jahr werden beim Deutschen Tennisverein Hameln die 30. DTH-Open, gefeiert! Wer hätte bei der ersten Ausgabe des Turniers 1987 gedacht, dass diese anfangs so überschaubare Veranstaltung sich einmal so etablieren und für überregionales Aufsehen sorgen würde? Deshalb plant der Vorstand des DTH zusammen mit der Turnierleitung und weiteren Interessierten für 2016 ein ganz besonderes DTH-Open. Mehr wird noch nicht verraten, aber dies sei bereits heute gesagt: Es wird interessant
Auf jeden Fall erklärten sich nach dem begeisternden Herrenfinale dieses Jahres einige Sponsoren spontan bereit, zur Jubiläumsveranstaltung das Preisgeld noch einmal anzuheben. Das bedeutet, dass anno 2016 rund 10.00 Euro ausgeschüttet werden, wodurch vielleicht noch bessere Spieler und Spielerinnen angelockt werden können. Vielleicht kommt ja auch Titelverteidiger Lazov im nächsten Jahr wieder – oder die 2011er Siegerin Katharina Lehnert, die inzwischen auf Platz 28 der Deutschen Rangliste geführt wird, in diesem Jahr gemeldet hatte, dann aber doch kurzfristig zurückzog.
Warten wir es ab. Auch im nächsten Jahr wird es wieder Spitzentennis und interessante, spannende Duelle auf der Zehnfeldanlage in Hamelns Süden geben. Und dazu vielleicht auch mal wieder eine Fete oder ein spannendes Rahmenprogramm – und das erneut zu freiem Eintritt an allen Turniertagen!
Cord Wilhelm Kiel